Gesetz gegen den verbrecherischen und gemeingefährlichen Gebrauch von Sprengstoffen

Titel: Gesetz gegen den verbrecherischen und gemeingefährlichen Gebrauch von Sprengstoffen.
Fundstelle: Deutsches Reichsgesetzblatt Band 1884, Nr. 17, Seite 61–64
Fassung vom: 9. Juni 1884
Bekanntmachung: 11. Juni 1884
Quelle: Scan auf Commons

(Nr. 1547.) Gesetz gegen den verbrecherischen und gemeingefährlichen Gebrauch von Sprengstoffen. Vom 9. Juni 1884.

Wir Wilhelm, von Gottes Gnaden Deutscher Kaiser, König von Preußen etc.

verordnen im Namen des Reichs, nach erfolgter Zustimmung des Bundesraths und des Reichstags, was folgt:

§. 1.

Die Herstellung, der Vertrieb und der Besitz von Sprengstoffen sowie die Einführung derselben aus dem Auslande ist unbeschadet der bestehenden sonstigen Beschränkungen nur mit polizeilicher Genehmigung zulässig.
Wer sich mit der Herstellung oder dem Vertriebe von Sprengstoffen befaßt, hat ein Register zu führen, aus welchem die Mengen der hergestellten, aus dem Auslande eingeführten oder sonst zum Zweck des Vertriebes angeschafften Sprengstoffe, sowie die Bezugsquellen und der Verbleib derselben ersichtlich sein müssen. Dieses Register ist der zuständigen Behörde auf Erfordern jederzeit vorzulegen.
Auf Sprengstoffe, welche vorzugsweise als Schießmittel gebraucht werden, finden vorbehaltlich abweichender landesrechtlicher Vorschriften die Bestimmungen des ersten und des zweiten Absatzes keine Anwendung. Die Bezeichnung dieser Stoffe erfolgt durch Beschluß des Bundesraths.
Insoweit Sprengstoffe zum eigenen Gebrauch durch Reichs- oder Landesbehörden von der zuständigen Verwaltung hergestellt, besessen, eingeführt oder vertrieben werden, bleiben die Vorschriften des ersten und zweiten Absatzes ebenfalls ausgeschlossen.

§. 2.

Die Zentralbehörden der Bundesstaaten erlassen die zur Ausführung der Vorschriften in dem §. 1 Absatz 1 und 2, sowie in dem §. 15 erforderlichen näheren Anordnungen und bestimmen die Behörden, welche über die Gesuche um Gestattung der Herstellung, des Vertriebes, des Besitzes und der Einführung von Sprengstoffen Entscheidung zu treffen haben.

§. 3.

Gegen die versagende Verfügung ist nur die Beschwerde an die Aufsichtsbehörde innerhalb 14 Tagen zulässig. Dieselbe hat keine aufschiebende Wirkung.

§. 4.

Die Ertheilung der nach §. 1 Absatz 1 erforderlichen Erlaubniß erfolgt in widerruflicher Weise. Wegen der Beschwerde gegen die Zurücknahme gilt die Vorschrift des §. 3 des gegenwärtigen Gesetzes.

§. 5.

Wer vorsätzlich durch Anwendung von Sprengstoffen Gefahr für das Eigenthum, die Gesundheit oder das Leben eines Anderen herbeiführt, wird mit Zuchthaus bestraft.
Ist durch die Handlung eine schwere Körperverletzung verursacht worden, so tritt Zuchthausstrafe nicht unter fünf Jahren, und wenn der Tod eines Menschen verursacht worden ist, Zuchthausstrafe nicht unter zehn Jahren oder lebenslängliche Zuchthausstrafe ein.
Ist durch die Handlung der Tod eines Menschen herbeigeführt worden und hat der Thäter einen solchen Erfolg voraussehen können, so ist auf Todesstrafe zu erkennen.

§. 6.

Haben Mehrere die Ausführung einer oder mehrerer nach §. 5 zu ahndender strafbarer Handlungen verabredet oder sich zur fortgesetzten Begehung derartiger, wenn auch im einzelnen noch nicht bestimmter Handlungen verbunden, so werden dieselben, auch ohne daß der Entschluß der Verübung des Verbrechens durch Handlungen, welche einen Anfang der Ausführung enthalten, bethätigt worden ist, mit Zuchthaus nicht unter fünf Jahren bestraft.

§. 7.

Wer Sprengstoffe herstellt, anschafft, bestellt, oder in seinem Besitze hat, in der Absicht, durch Anwendung derselben Gefahr für das Eigenthum, die Gesundheit oder das Leben eines Anderen entweder selbst herbeizuführen oder andere Personen zur Begehung dieses Verbrechens in den Stand zu setzen, wird mit Zuchthaus bis zu zehn Jahren bestraft.
Der gleichen Strafe verfällt, wer Sprengstoffe, wissend, daß dieselben zur Begehung eines in dem §. 5 vorgesehenen Verbrechens bestimmt sind, an andere Personen überläßt.

§. 8.

Wer Sprengstoffe herstellt, anschafft, bestellt, wissentlich in seinem Besitze hat oder an andere Personen überläßt unter Umständen, welche nicht erweisen, daß dies zu einem erlaubten Zweck geschieht, wird mit Zuchthausstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Gefängniß nicht unter einem Jahre bestraft. Diese Bestimmung findet auf die gemäß §. 1 Absatz 3 vom Bundesrath bezeichneten Stoffe nicht Anwendung.

§. 9.

Wer der Vorschrift in dem ersten Absatz des §. 1 zuwider es unternimmt, ohne polizeiliche Ermächtigung Sprengstoffe herzustellen, vom Auslande einzuführen, feilzuhalten, zu verkaufen oder sonst an Andere zu überlassen, oder wer im Besitze derartiger Stoffe betroffen wird, ohne polizeiliche Erlaubniß hierzu nachweisen zu können, ist mit Gefängniß von drei Monaten bis zu zwei Jahren zu bestrafen.
Gleicher Strafe verfällt, wer die Vorschriften des §. 1 Absatz 2, die von den Zentralbehörden in Gemäßheit des §. 2 getroffenen Anordnungen oder die bereits bestehenden oder noch zu erlassenden sonstigen polizeilichen Bestimmungen über den Verkehr mit Sprengstoffen, auf welche §. 1 Absatz 1 Anwendung findet, übertritt.

§. 10.

Wer öffentlich vor einer Menschenmenge oder wer durch Verbreitung oder öffentlichen Anschlag oder öffentliche Ausstellung von Schriften oder anderen Darstellungen, oder wer in Schriften oder anderen Darstellungen zur Begehung einer der in den §§. 5 und 6 bezeichneten strafbaren Handlungen oder zur Theilnahme an denselben auffordert, wird mit Zuchthaus bestraft.
Gleiche Strafe trifft denjenigen, welcher auf die vorbezeichnete Weise zur Begehung der im Absatz 1 gedachten strafbaren Handlungen insbesondere dadurch anreizt oder verleitet, daß er dieselben anpreist oder als etwas Rühmliches darstellt.

§. 11.

In den Fällen der §§. 5, 6, 7, 8 und 10 kann auf Zulässigkeit von Polizeiaufsicht erkannt werden. In den Fällen der §§. 5, 6, 7, 8 und in dem Falle einer Anwendung der Strafvorschriften des §. 9 ist auf Einziehung der zur Zubereitung der Sprengstoffe gebrauchten oder bestimmten Gegenstände, sowie der im Besitze des Verurtheilten vorgefundenen Vorräthe von Sprengstoffen zu erkennen, ohne Unterschied, ob dieselben dem Verurtheilten gehören oder nicht.

§. 12.

Die Bestimmungen im §. 4 Absatz 2 Nr. 1 des Strafgesetzbuchs für das Deutsche Reich finden auch auf die in den §§. 5, 6, 7, 8 und 10 dieses Gesetzes vorgesehenen Verbrechen Anwendung.

§. 13.

Der in dem §. 139 des Strafgesetzbuchs für das Deutsche Reich angedrohten Strafe verfällt, wer von dem Vorhaben eines im §. 5 vorgesehenen Verbrechens oder von einer im §. 6 vorgesehenen Verabredung oder von dem Thatbestande eines im §. 7 des gegenwärtigen Gesetzes unter Strafe gestellten Verbrechens in glaubhafter Weise Kenntniß erhält und es unterläßt, der durch das Verbrechen bedrohten Person oder der Behörde rechtzeitig Anzeige zu machen.

§. 14.

Die §§. 1, 2, 3, 4, 9 dieses Gesetzes treten drei Monate nach dessen Verkündigung, die übrigen Bestimmungen desselben mit dem Tage der Verkündigung in Kraft.

§. 15.

Auf Personen, welche bei dem Inkrafttreten der §§. 1, 2, 3, 4, 9 dieses Gesetzes sich bereits im Besitze von Sprengstoffen befinden oder sich bis zu diesem Tage gewerbsmäßig mit der Herstellung oder mit dem Vertriebe von Sprengstoffen beschäftigt haben, finden die Vorschriften des §. 9 Absatz 1 erst zwei Wochen nach dem Inkrafttreten der gedachten Paragraphen, und wenn seitens dieser Personen innerhalb dieser Frist ein Gesuch um Ertheilung der nach §. 1 Absatz 1 erforderlichen polizeilichen Genehmigung bei der zuständigen Behörde eingereicht worden ist, erst eine Woche nach Behändigung des ablehnenden Bescheides letzter Instanz (§. 3) Anwendung.
Urkundlich unter Unserer Höchsteigenhändigen Unterschrift und beigedrucktem Kaiserlichen Insiegel.
Gegeben Berlin, den 9. Juni 1884.

(L. S.)  Wilhelm. 

  Fürst von Bismarck.